Studie von Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und der Organisation IAO

Der Rhein-Herne-Kanal in Oberhausen

Corona hat die Arbeitswelt auf den Kopf gestellt. Vieles, das vorher undenkbar schien, ist über Nacht plötzlich möglich geworden. Dr. Josephine Hofmann vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO forscht seit rund 20 Jahren zu den Themen Führung und Zusammenarbeit. Jüngst hat sie eine Studie durchgeführt, in der sie gemeinsam mit ihrem Team das Arbeiten in der Corona-Pandemie untersucht hat. Im Interview erzählt sie, welche Ergebnisse sie besonders überrascht haben und warum der Ausnahmezustand der Weg zu einem „New Normal“ sein kann.

DAS INTERVIEW

Frau Hofmann, wo erreiche ich Sie in diesem Moment?

Dr. Josephine Hofmann: In meinem Homeoffice in Stuttgart. In meinem Team arbeiten wir zwar schon lange mobil, aber als Führungskraft bin ich vor Corona auch viel gereist. Das fällt jetzt größtenteils weg, sodass ich so gut wie ausschließlich im Homeoffice arbeite.

Nun ist das Homeoffice nicht nur Ihr Arbeitsmodell, sondern auch Ihr Forschungsfeld. Sie beschäftigen sich damit, wie Teams orts- und zeitflexibel erfolgreich zusammenarbeiten – und dabei vor allem mit neuen Methoden, digitalen Werkzeugen und veränderten Führungskonzepten. Sie sind also eine echte Expertin auf dem Feld. Haben Sie trotzdem auch für sich selbst in den vergangenen Monaten noch etwas gelernt?

Ja, ich habe ganz viel gelernt. Ich arbeite zwar seit 20 Jahren mit dem Thema und berate auch viel, deshalb gab es für mich keine grundlegenden Überraschungen. Aber das Extreme an der Situation, dass also plötzlich alles im Homeoffice stattfinden musste, war auch für mich neu.

Sie haben zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Personalforschung (DGFP) eine Studie durchgeführt, in der Sie das Arbeiten in der Ausnahmesituation untersucht haben. Dafür haben Sie Unternehmen befragt, was sich verändert hat, was gut und weniger gut gelaufen ist und was wir daraus lernen können. Was waren – kurzgefasst – Ihre Ergebnisse?

Der große Überraschungseffekt war, dass viel mehr geht, als man dachte: Sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende konnten gut umlernen, und Vorurteile wurden revidiert. Natürlich haben die Unternehmen aber auch Grenzen erlebt, zum Beispiel in Bezug auf die Ausstattung und die Ergonomie am Arbeitsplatz. Und dann gab es Nebenwirkungen, die Corona zugeschrieben werden können, wie die Vereinbarkeit von Homeschooling und Homeworking. Die hat bei einigen Beschäftigten zu einer extremen Doppel- und Dreifachbelastung geführt. Wichtig ist aber, dass das nicht der Normalfall ist, wenn man von mobilem Arbeiten spricht.

Können Sie zusammenfassen, was die Unternehmen richtig gemacht haben, bei denen die Umstellung sehr gut geklappt hat?

Diese Unternehmen hatten gute Voraussetzungen, weil die Mitarbeiter schon vorher hochgradig digital gearbeitet haben und die entsprechende Ausstattung mit Handy, Laptop und einem guten lokalen Netzwerk, das man mit VPN erreichen kann, vorhanden war. Hier waren die Führungskräfte bereits vorher mit dem Thema „Präsenzkultur“ konfrontiert und mussten sich überlegen, wie sie mit der Arbeit ihrer Mitarbeiter im Homeoffice umgehen. Auch ein bereits vorhandener rechtlicher Rahmen für diese Arbeitsform hat die Umstellung natürlich erleichtert.

Und was raten Sie Unternehmen, bei denen die Umstellung noch nicht so gut geklappt hat?

Zum einen sollten sie systematisch auswerten, was gut und was weniger gut geklappt hat. Und sich dann fragen: Worauf können wir aufbauen? Mindestens genauso wichtig ist aber, die Ergebnisse auch zum Anlass zu nehmen, um Erfolge zu feiern, den Mitarbeitern Danke zu sagen und sich gemeinsam vor Augen zu führen, was aus der Kraftanstrengung in Sachen Selbstorganisation und Improvisationsgeist entstanden ist.

Wird das Gelernte auch Einfluss auf die Zukunft der Arbeitswelt haben?

Ja, denn es wäre schade, wenn all die Schätze, die gehoben wurden, wieder in der Versenkung verschwinden. Beispielsweise mit Blick auf die Nachhaltigkeit kann man sich fragen: Muss wirklich jede Geschäftsreise sein, und muss sie mit dem Flieger stattfinden? Und auch die Frage, welche Auswirkungen neue Arbeitsformen langfristig für unsere Städte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau haben könnten, ist spannend. Wie wird die Planung der öffentlichen Verkehrsmittel für eine Großstadt wie Stuttgart künftig aussehen, wenn viele Menschen daheim arbeiten? Das sind Folgefragen in einer größeren strukturellen Dimension, die wir uns künftig stellen müssen.

Sie sprechen in Ihrer Studie von „New Normal“ – der „neuen Normalität“ also. Glauben Sie, dass die Arbeit im Homeoffice auch nach Corona tatsächlich die neue Normalität sein wird?

Ich bekomme schnell unterstellt, dass ich möchte, dass alle ab sofort daheim arbeiten. Das ist nicht so, aber ich sehe, dass vieles geht und dass darin große Chancen liegen, die man aber eben auch sorgfältig herausarbeiten muss. Dabei kann die neue Normalität je nach Branche, Unternehmen, Zusammensetzung der Abteilung und ihrem Auftrag sehr unterschiedlich aussehen. Es gibt viele Firmen, mit denen wir arbeiten, die davon ausgehen, dass die Mitarbeiter zukünftig ungefähr die Hälfte der Zeit nicht im Unternehmen anwesend sein werden. In anderen Betrieben geht das nur zu einem kleinen Teil, weil es viel Publikumsverkehr gibt. Entsprechend muss das New Normal auch unterschiedlich aussehen. Und: Nicht jeder will oder kann zu Hause arbeiten, zum Beispiel, weil zu Hause die räumlichen Voraussetzungen dafür fehlen. Das New Normal wird sehr differenziert sein, aber was es auszeichnen wird, ist eine größere Virtualität von Arbeit, die gängiger wird.

Die Arbeitswelt wird sich also auch in den nächsten Wochen und Monaten weiter verändern?

Auf jeden Fall. Bis zum März 2020 war das Thema „Homeoffice“ noch eher ein „Wohlfühlthema“ für Mitarbeitende, das aus Gründen der Arbeitgeber-Attraktivität realisiert wurde, mittlerweile ist es eine Überlebensstrategie. Ich habe mit einem Unternehmen gesprochen, das die kommenden Monate nur mithilfe von Homeoffice überstehen wird. Dieses Unternehmen hat die kritischsten Prozesse zuerst ausgelagert, damit garantiert ist, dass die Arbeit weitergehen kann. Homeoffice liefert hier also einen großen Beitrag zur Resilienz in der Krise. Diese strategische Reorientierung hat auch mich überrascht – und gefreut.