Die Covid-19-Pandemie scheint halbwegs vorbei und ist doch noch präsent. Am liebsten würde man sich mit ihr nicht mehr beschäftigen, aber viele Selbständige müssen es dennoch. Denn Selbständige waren und sind von ihren Folgen und von den mit der Pandemie verbundenen Beschränkungen besonders stark betroffen.

Der Rhein-Herne-Kanal in Oberhausen

Prof. Dr. Alexander Kritikos
Forschungsdirektor Entrepreneurship am DIW Berlin und Professor für VWL an der Universität Potsdam

Vier Erkenntnisse, die Unternehmen auch in anderen Krisensituationen nutzen können

Viele Selbständige haben hohe Umsatz- und Einkommensverluste erlitten, sahen und sehen sich zum Teil noch heute in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet. Aber es geht es nicht allein um finanzielle Sorgen. Die Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit, die aus epidemiologischer Sicht sinnvoll waren, stellten für die Existenz der betroffenen Selbstständigen eine unmittelbare Bedrohung dar. Dies hatte auch Auswirkungen auf deren psychische Gesundheit: Angst und Depressionssymptome haben signifikant zugenommen. Und die Bundesregierung? Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte auf einer Pressekonferenz zu Beginn der Pandemie an, „dass wir die Unternehmen nicht im Stich lassen werden“. Genau so fühlten sich aber vor allem viele Soloselbständige: vom Staat im Stich gelassen. Da hilft es nur, sich selbst zu helfen, so gut es geht. Das neue Schlagwort lautet: Resilienz entwickeln. Vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs und der damit einhergehenden Preisschocks erhält der Ansatz neue Aktualität.

Mit Kollegen haben wir in den letzten zwei Jahren viel zu Fragen geforscht, wer warum besser durch die Corona-Pandemie gekommen ist. Hier vier Erkenntnisse:

1 Resilienz auf der Ebene der Person
Resilienz beschreibt zunächst auf der Ebene Person die psychische Widerstandsfähigkeit Einzelner, wenn sie mit Widrigkeiten konfrontiert werden. Eine höhere Resilienz kann mithin die psychische Gesundheit von Selbständigen schützen und somit ihre Arbeitsleistung auch in Situationen wie der COVID-19-Pandemie verbessern. Wir haben deshalb untersucht, inwieweit resilientere Selbständige in dieser Phase besser vor einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit geschützt waren als weniger resiliente Selbständige. Dazu haben wir unabhängig voneinander Maße für Resilienz und für depressive Symptome verwendet. Tatsächlich haben wir bei resilienten Selbständigen relativ geringe oder zum Teil gar keine Veränderungen in der Häufigkeit depressiver Symptome festgestellt. Hingegen stiegen die Depressionssymptome bei weniger resilienten Personen signifikant an. Wenn Resilienz eine veränderliche Eigenschaft ist (und vieles spricht gemäß jüngster Forschung dafür), so eröffnet dies Möglichkeiten, zukünftig Maßnahmen zu entwickeln, die dabei helfen, psychische Resilienz aufzubauen. Das ist zweifellos eine Langfristig-Aufgabe, die die politischen Entscheidungsträger nicht erst bei der nächsten Krise in Gang setzen sollten, sondern völlig unabhängig davon möglichst bald.

Quelle: https://www.iza.org/publications/dp/15260/pandemic-depression-covid-19-and-the-mental-health-of-the-self-employed

2 Resilienz auf der Ebene der Unternehmung
Ein wesentlicher Unterschied, warum manche Unternehmungen in der Krise widerstandsfähig, also resilient waren, und andere nicht, war der Grad der Digitalisierung der Unternehmung. Natürlich ist uns bewusst, dass sich nicht alle Unternehmungen digitalisieren lassen. Aber dort, wo das möglich war, hat diese Entscheidung große Bedeutung. Der Einsatz digitaler Technologien wirkt sich nicht nur auf die Effizienz aus, er schafft auch neue unternehmerische Möglichkeiten für Selbstständige, z. B. durch die Expansion in neue Märkte oder durch die Ermöglichung neuer Wege der Wertschöpfung, die zu neuen Geschäftsmodellen führen. Die Digitalisierung bietet Selbständigen darüber hinaus mehr Flexibilität, um auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Wir haben untersucht, wie Selbständige ihre Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit von ihrem Digitalisierungsgrad eingeschätzt haben und beobachten eine positive Wirkung hoher Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Zwei Effekte erscheinen besonders wichtig. Erstens ist der positive Effekt der Digitalisierung besonders ausgeprägt bei denjenigen, die ihre Kundenbeziehungen sowie ihre Produkte und Dienstleistungen digitalisiert haben. Zweitens treten die positiven Effekte nur bei Unternehmungen auf, die bereits vor der Krise digitalisiert waren. Dagegen haben spontane Investitionen in die Digitalisierung während der Krise sich noch nicht positiv auf die erwartete Überlebenswahrscheinlichkeit ausgewirkt. Die Einführung digitaler Technologien sind somit eine treibende Kraft bei der Entwicklung von Resilienz gegenüber unvorhergesehenen wirtschaftlichen Schocks. Aber es wird eben auch deutlich, dass nur Unternehmungen, die langfristige Strategien zur Einbettung digitaler Technologien in ihre Geschäftsprozesse entwickelt haben, die Resilienz haben, einer solchen Krise zu begegnen. Solche Investitionen müssen also gut vorbereitet sein, um in Zeiten unvorhergesehener Schocks und Wirtschaftskrisen ihre positive Wirkung zu entfalten.

Quelle: Bertschek, Irene; Jörn Block, Alexander Kritikos, Caroline Stiel (2022): German Financial State Aid during COVID-19 Pandemic: higher Resilience among Digitalized Self-Employed, mimeo.

3 Vernetzung mit der Online Community
Da es mit den staatlichen Hilfen nicht für alle so klappte, wie erhofft, mussten manche Selbständige während der Pandemie sich mit vielen unvorhergesehenen Problemen auseinandersetzen. Unter normalen Umständen suchen sich Selbständige ihre Unterstützung zur Bewältigung dieser Probleme in ihren physischen Netzwerken. Diese waren aufgrund der Notwendigkeit zur sozialen Distanzierung oft nicht verfügbar. Folglich mussten Selbständige alternative Wege suchen. Gerade Online-Communities konnten in diesen Zeiten Halt schaffen. Kolleginnen und Kollegen von mir haben auf Basis von Gesprächsdaten auf der Online-Community Reddit untersucht, wie Selbständige mit Online-Communities interagiert haben. Abhängig davon, wie Selbständige an die Community herantreten, also ihre Beiträge gestalten, bieten diese Communities mehr als nur einfache Beratung. Die Online-Communities können erstens helfen, Probleme zu lösen. Zum Beispiel wies die Community darauf hin, wie digitale Marketing Tools zum Ausgleich von Kundenverlusten genutzt werden können. Zweitens können Online-Communities Selbständige dabei unterstützen, Ideen in Frühphasen durch Machbarkeitsprüfungen zu testen, so dass die Selbständigen die Chancen ihrer Ideen besser einschätzen können. Online-Communities können drittens helfen, neu aufkommende Themen zu verstehen und zu reflektieren. Die Arbeit im Homeoffice war da zweifellos eine permanente Herausforderung. Insgesamt haben sich Online-Communities in der Pandemie zu einem wichtigen Pfeiler entwickelt, der Selbständige bei ihrem Handeln unterstützt, Widerstandskraft in diesen unsicheren Zeiten aufzubauen.

Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s11187-021-00540-2

4 Bootstrap Finanzierung
Als Bootstrap-Finanzierung bezeichnet man Maßnahmen, die Selbständige zur Liquiditätsschonung vornehmen können, wenn sie auf externe Finanzierung nicht zurückgreifen können oder wollen. Dies umfasst die Reduktion von Ausgaben, das Einziehen von Forderungen, die Hinauszögern von Zahlungen, sowie den Vorverkauf. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Bootstrap-Finanzierung ein wichtiger Faktor für das Wachstum in den Frühphasen der Selbständigkeit ist, wenn finanzielle Ressourcen schlicht beschränkt sind. Bootstrap-Finanzierung kann aber gerade auch in Krisen zum Einsatz kommen, wenn die Erhaltung der Liquidität besonders im Vordergrund steht. Kollegen von mir haben die Determinanten der Bootstrap-Finanzierung in der COVID-19-Krise untersucht. Sie stellen fest, dass Selbständige, die Bootstrap-Finanzierung eingesetzt haben, besser durch die Krise gekommen sind – insbesondere mussten sie ihren privaten Konsum weniger stark einschränken. Die positiven Erfahrungen mit Bootstrap-Finanzierung weisen darauf hin, dass sich gezielte Programme oder Webinare zu unternehmerischem Denken und Handeln auf unerfahrene Unternehmer konzentrieren sollten, um diese Personen zu Bootstrap-Methoden für die Aufrechterhaltung ihrer Liquidität in Krisenzeiten anzuleiten.

Quelle: https://link.springer.com/article/10.1007/s11187-020-00445-6

Und sonst…
Dass die Bundesregierung eine unüberschaubare Zahl von Hilfsprogrammen von Soforthilfe bis zu den Liquiditätshilfen I-IV und der Neustarthilfe aufgestellt hat, sich viele Selbständige trotzdem allein gelassen gefühlt haben, hängt auch damit zusammen, dass Selbständige bis heute keine starke Lobby haben. Das müssen Selbständige selbst in die Hand nehmen und ihre Lobbyaktivitäten stärker bündeln und schlagkräftiger machen.

Autor: Alexander Kritikos